Der BGH hat mit Urteil vom 17.11.2020 (XI ZR 171/19) der Schutzgemeinschaft für Bankkunden (SFB) die Klagebefugnis in Musterfeststellungs- verfahren abgesprochen und damit ein Urteil des OLG Stuttgart vom 20.3.2019 (6 MK 1/18) bestätigt.
Zurzeit liegt von dem Urteil nur die Pressemitteilung, nicht jedoch die Urteilsgründe vor. (Pressemitteilung Nummer 139/2020 vom 17.11.2020)
Grundlagen
Die SFB hatte im November 2018 eine Musterfeststellungsklage gegen eine Autobank erhoben, mithilfe derer sie feststellen lassen wollte, dass bestimmte Pflichtangaben Endverbraucherdarlehensverträgen für Kfz-Darlehensverträge nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Ziel sollte sein, die Widerrufsfrist gemäß § 495 BGB nicht beginnen zu lassen, da der Verbraucher nicht über alle erforderlichen Pflichtangaben belehrt worden war.
Um eine Musterfeststellungsklage erheben zu dürfen, muss es sich gemäß § 606 Abs. 1 und 3 ZPO um eine qualifizierte Einrichtung handeln. Diese sind qualifizierte Einrichtungen im Sinne des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 UKlaG), ,
- die als Mitglieder mindestens 10 Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 350 natürliche Personen haben
- mindestens 4 Jahre in die Liste nach § 4 des UKlaG oder dem Verzeichnis der Europäischen Union eingetragen sind
- in Erfüllung ihrer satzungsgemäßen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrnehmen
- Musterfeststellungsklage nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung erheben und
- nicht mehr als 5 % ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen.
Urteil des: Keine Klagebefugnis der SFB für Musterfeststellungsklagen
Sowohl das OLG Stuttgart als auch jetzt aktuell der BGH sahen diese Voraussetzungen als nicht erfüllt an. Auch hatte das OLG Braunschweig in einer Musterfeststellungsklage gegen VW bereits am 12.12.2018 Zweifel an der Klagebefugnis der SFB geäußert und deswegen die Musterfeststellungsklagen nicht veröffentlicht. (4 MK 2/18).
Keine 350 natürlichen Mitglieder
Die Voraussetzung, dass die qualifizierte Einrichtung mindestens 350 natürliche Personen als Mitglieder hatte, sah der BGH seitens der SFB als nicht schlüssig vorgetragen an.
Nach dem vorausgehenden Urteil des OLG Stuttgart (20.3.2019 AZ: 6 MK 1/18) unterscheidet die SFB gemäß ihrer Satzung Vollmitglieder und Internetmitglieder. Nach Auffassung des OLG Stuttgart sind für die Musterfeststellungsklage nur die Anzahl der Vollmitglieder entscheidend.
Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber eine Beschränkung der Klagebefugnis in Musterfeststellungsklagen erreichen wollte, damit keine sachwidrigen oder missbräuchlichen Musterfeststellungsklagen erhoben werden. Dies sah das OLG Stuttgart nur als erfüllt an, wenn die Vereinsmitglieder durch ihre organschaftlichen Rechte in penetranter Weise auf Verhalten und Geschicke des Vereins Einfluss nehmen können. Dies sei bei den Internetmitgliedern nicht der Fall, sie haben kein Stimmrecht.
Gewerbsmäßigkeit
Nach Auffassung des BGH besteht die Tätigkeit der SFB ganz überwiegend darin, durch Analyse der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Kreditinstituten Rechtsverstöße zu identifizieren, die betreffende Institute mit anwaltlicher Hilfe abzumahnen und die Fehlerhaftigkeit der Geschäftsbedingungen anschließen gerichtlich durchzusetzen.
Klagebefugt sollen aber nur Organisationen sein, deren Tätigkeit bei wertender Betrachtung ganz maßgebend auf eine nicht gewerbsmäßige Aufklärung oder Beratung von Verbrauchern zurückzuführen ist und die außergerichtliche Geltendmachung von Verbraucherinteressen nur eine untergeordnete Rolle daneben spielt.
Da die SFB nach eigenen Presseberichten knapp 3400 Fälle von Gebührenabmahnungen vorgetragen hat und in hunderten von Fällen Klage erhoben hat, sah der BGH diese Voraussetzung als nicht gegeben an. Dabei war auch entscheidend, dass die SFB im Jahre 2017 und im 1. Halbjahr 2018 zwischen 97 und 99 % ihrer Einnahmen aus diesem Bereich der gerichtlichen und außergerichtlichen Anspruchsdurchsetzung erzielte. Damit waren die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen absolut untergeordnet.
Bewertung
Diese Frage ist derzeit nicht eindeutig zu beantworten. Denn bei Abmahnungen für AGBs oder Entgelte wird die SFB als qualifizierte Einrichtung im Sinne § § 3,4 UKlaG tätig. Diese Voraussetzungen sind nicht identisch mit denen des § 606 ZPO für die Musterfeststellungsklage.
Klagebefugnis nach dem Unterlassungsklagengesetz
Nach § 3 UKlaG können die Ansprüche auf Unterlassung, auf Widerruf oder auf Beseitigung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch qualifizierte Einrichtungen geltend gemacht werden, die in die entsprechenden Listen qualifizierte Einrichtungen eingetragen sind. Diese Liste wird gemäß § 4 UKlaG beim Bundesamt für Justiz geführt und auf seiner Internetseite veröffentlicht. In dieser Liste werden auf Antrag rechtsfähige Vereine eingetragen zu deren satzungsmäßigen Aufgaben es gehört Interessen der Verbraucher durch nicht gewerbsmäßige Aufklärung und Beratung wahrzunehmen, wenn
- sie mindestens 3 Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 75 natürliche Personen als Mitglieder haben,
- sie mindestens ein Jahr bestanden haben und
- aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeit gesichert erscheint dass sie ihre satzungsgemäßen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen werden. (neu seit 2016)
Nur die für die öffentlich geförderten Verbraucherzentralen wird unterstellt, dass diese Voraussetzung erfüllt sind.
[pullquote align=“right“]Die SFB ist aktuell noch in dieser Liste der qualifizierten Einrichtungen beim Bundesamt für Justiz eingetragen. (Stand 3.6.2020.)[/pullquote]Die Anzahl ihrer Vollmitglieder wurde in dem Verfahren vor dem OLG Braunschweig mit 153 Mitgliedern angegeben. Allerdings konnte diese Anzahl dort nicht überprüft werden. Möglicherweise ergeben sich aus den Entscheidungsgründen des BGH-Urteils hierzu weitere Erkenntnisse. Damit wäre die erste Voraussetzung gegeben. Ebenso ist die zweite Voraussetzung gegeben, da sie bereits mindestens seit 2004 am Markt aktiv sind.
Überprüfung der Eintragung in die Liste der qualifizierten Einrichtungen
Die Eintragung in die Liste der qualifizierten kann aber gemäß § 4 Abs. 4 UKlaG überprüft werden, wenn sich in einem Rechtsstreit begründete Zweifel an dem Vorliegen der Voraussetzungen für die Eintragung einer qualifizierten Einrichtung ergeben. Das Gericht kann das Bundesamt für Justiz zur Überprüfung der Eintragung auffordern und die Verhandlung bis zu dessen Entscheidung aussetzen. Ob dies bereits erfolgt ist, ist hier nicht bekannt.
§ 2b UKlaG will zudem auch die missbräuchliche Geltendmachung von Ansprüchen rein im Gebühreninteresse, also sog. Abmahnvereine vermeiden.
In beiden Gesetzen ist Voraussetzung für die Beurteilung als qualifizierte Einrichtung, dass satzungsgemäße Aufgaben die „weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeit für Verbraucher“ ist. Der Unterschied zu den Voraussetzungen des Musterfeststellungsverfahrens nach § 606 ZPO liegt darin, dass dort das Wort „weitgehend“ enthalten ist, was im UKlaG fehlt. Daraus könnte folgen, dass man nur „auch“ Verbraucherberatung durchführen muss.
In Anbetracht der vom BGH genannten Höhe der Einnahmen von 97% -99 % aus abmahnender Tätigkeit kann man aber dennoch berechtigte Zweifel daran haben, ob auch die Voraussetzungen des UKlaG noch erfüllt sind. Zwar reicht es möglicherweise aus, wenn die qualifizierte Einrichtung „auch“, aber nicht unbedingt „weitgehend“ beratende Tätigkeiten für Verbraucher wahrnimmt. Ob dies bei einem Anteil der Einnahmen aus Abmahnungen von 97-99 % immer noch der Fall und damit schützenswert ist, darf zumindest mit einem Fragezeichen versehen werden.
Auch drängt sich dann ein Verstoß gegen die missbräuchliche Geltendmachung im Sinne von § 2b UKlaG auf.
Zweifel des OLG Braunschweig
Das OLG Braunschweig hatte bereits Zweifel gehegt, ob die Eintragung in die Liste der qualifizierten Einrichtung gemäß § 4 UKlaG gerechtfertigt ist. (Beschluss vom 12.12.2018, Rz. 34)
Gerade die in 2016 neu eingefügte Voraussetzung in § 4 Abs. 2 Nummer 3 UKlaG (der Sicherheit bezüglich der zukünftigen Erbringung des satzungsgemäßen Zwecks) sollte verhindern, dass Abmahnvereine mit einer untergeordneten Beratungstätigkeit als qualifizierte Einrichtung beurteilt werden.
Daneben soll auch ein Verein nicht mehr eintragungsfähig sein, wenn er eigenen oder fremden wirtschaftlichen Interessen neben den Verbraucherinteressen nennenswerte Bedeutung einräumt. Dies kann bei einer engen personellen und sachlichen Verflechtung mit einer insbesondere im Bereich des Bank- und Kapitalmarktrechts tätigen Rechtsanwaltskanzlei der Fall sein (OVG Münster WM 2018,1309). Auch diesbezüglich gibt es nach dem Beschluss des OLG Braunschweig Anhaltspunkte. Denn 30 der in der anonymisierten Mitgliederliste des Vereins eingetragenen Personen sollen Rechtsanwälte bzw. Mitarbeiter der beiden Kanzleien der bevorzugten Prozessbevollmächtigten der SFB gewesen sein. Das OLG Braunschweig gibt dann noch weitere Beispiele für die Verflechtung zwischen der SFB und ihren Prozessbevollmächtigten. (Rz. 36-39). Die Thematik der personellen Verflechtung zwischen dem Verein und den Prozessbevollmächtigten hatte auch das OLG Stuttgart negativ aufgegriffen (Rz. 31 ff.)
Siehe auch den Beitrag zu der Streitwertentscheidung des BGH bei Unterlassungsklagen – hier