Die BaFin hat in einer Pressemitteilung vom 02.12.2020 nicht nur die Verbraucher aufgerufen, ihre Prämiensparverträge prüfen zu lassen. Sie hat zudem angekündigt, auch „konkrete verwaltungsrechtliche Optionen, mit denen das Ziel ausreichender Kundeninformation erreicht werden kann“ zu prüfen.

Dieser Beitrag geht der Frage nach, ob die BaFin dazu berechtigt ist und was ggf. gegen eine solche Maßnahme getan werden muss.

Maßnahmen nach § 4 Abs. 1a FinDAG?

In ihrem BaFin-Journal und auch in Schreiben an die Kreditinstitute beruft sie sich dabei insbesondere auf § 4 Abs. 1a FinDAG (Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz).

Nach § 4 Absatz 1a FinDAG ist die BaFin im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse den kollektiven Verbraucherinteressen verpflichtet.

Zur Erreichung dieses Ziels kann sie alle Maßnahmen ergreifen und alle Anordnungen treffen die geeignet und erforderlich sind, um verbraucherschutzrelevante Missstände zu verhindern oder zu beseitigen, wenn eine generelle Klärung im Interesse des Verbraucherschutzes geboten erscheint. Ein Missstand ist danach ein erheblicher, dauerhafter oder wiederholter Verstoß gegen ein Verbraucherschutzgesetz, das nach seiner Art oder seinem Umfang die Interessen nicht nur einzelner Verbraucherin oder Verbraucher gefährden kann oder beeinträchtigt.

Darin sind viele unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, die einer genaueren Beleuchtung bedürfen.

Vorwurf an die Sparkassen

Die Ausgangsfrage ist allerdings schon nicht ganz eindeutig zu beantworten: Welches Verhalten wirft die Bafin den Sparkassen überhaupt vor?

Soweit durch die seitens der BaFin versandten Fragebögen ersichtlich, geht es um die Umsetzung der Rechtsprechung des BGH zur Zinsanpassungsklausel in Sparverträgen vom 17.02.2004 (XI ZR 140/03). Diese sei von den Instituten nicht richtig umgesetzt worden. Es wären mit jedem einzelnen Kunden neue Zins-Vereinbarungen des Prämiensparvertrages zu treffen gewesen. Dies hat die überwiegende Anzahl der Sparkassen nicht getan.

Die überwiegende Anzahl von Sparkassen haben die höchstrichterliche Rechtsprechung aber wie folgt umgesetzt: Sie haben für neue Verträge Zinsanpassungsklauseln vorgesehen, die sich an einem Referenzwert orientierten. Die vorher abgeschlossenen Bestandsverträge wurden in dann genauso angepasst, wie die neuen Verträge. Damit sahen sie die Vorgaben des BGH als umgesetzt an. Diese Praxis ist bis vor Kurzem auch von keiner Seite beanstandet worden.

Weiter scheint die BaFin den seitens der Sparkassen erhobenen Einwand der Verjährung nicht für durchgreifend zu erachten.

Hierzu ist auszuführen, dass die meisten Sparkassen sich bei Beschwerden von Kunden über die Zinsanpassungen diese entweder nachberechnet haben oder sich durch Pauschalbeträge mit den Kunden geeinigt haben. Durch die in den letzten Jahren gehäuft aufgetretenen Kündigungen der Prämiensparverträge durch die Institute haben sich auch die Beschwerden der Kunden zum Thema Zinsanpassung gehäuft.

Missstand

Liegt in dieser Vorgehensweise bereits ein Missstand im Sinne des § 4 Abs. 1a FinDAG? Das Gesetz gibt ein Regelbeispiel dafür, wann ein Missstand vorliegt. Es soll sich um einen erheblichen, dauerhaften oder wiederholten Verstoß gegen ein Verbraucherschutzgesetz handeln. Eine weitere Definition enthält das Gesetz nicht.

Ein Verbraucherschutzgesetz ist eine Norm, die genau den Verbraucherschutz bezweckt, wie z.B. die Verbraucherdarlehensverträge.

Da es noch keine Rechtsprechung zu dieser noch recht jungen Vorschrift gibt, ist ein Blick in die Gesetzesbegründung hilfreich. Die Vorschriften des FinDAG sind im Rahmen des sogenannten Kleinanlegerschutzgesetzes in 2015 in Kraft getreten. Voraussetzung für einen Missstand ist ein erheblicher, dauerhafter oder wiederholter Verstoß gegen verbraucherschützende Rechtsvorschriften, der über den Einzelfall hinausreicht und eine generelle Klärung geboten erscheinen lässt. Ein flächendeckendes Verhalten der Branche ist nicht erforderlich (BT-DS 18/3994, Seite 36) In Fällen, in denen die Bundesanstalt Kenntnis von systematischen oder gewichtigen Verstößen gegen verbraucherschützende Vorschriften erhält und in absehbarer Zeit kein höchstrichterliches Urteil zu erwarten ist, hat sie ebenfalls die Möglichkeit einzuschreiten.

Hier könnte man bereits zweifeln, da in den speziellen Fragestellungen zum Prämiensparvertrag nur allgemeines BGB, wie z.B. die Verjährung oder der ergänzenden Vertragsauslegung, zur Anwendung kommt.

Zudem müsste gegen eine eindeutige und höchstrichterliche Rechtsprechung verstoßen worden ein.

Eine solche höchstrichterliche Rechtsprechung ergibt sich aber nicht aus den viel zitierten BGH-Entscheidungen aus 2004 und 2010.

In dem Grundsatzurteil aus 2004 wurde nur festgestellt, dass die Klausel zur Zinsanpassung unwirksam ist. Wie die Kreditinstitute eine entsprechende Zinsanpassungsklausel auszugestalten haben, wird darin nur vage angedeutet. Als einzige Vorgabe wurde benannt, die Zinsanpassung habe sich an einer festen Kapitalmarktgröße als Referenzwert zu orientieren.

Die Unwirksamkeit der Zinsanpassungsklausel hat zur Folge, dass eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen ist. Danach ist die Zinsanpassung für den Vertrag zugrunde zu legen, die die Parteien in Kenntnis der unwirksamen Klausel vereinbart hätten. Dies bezieht sich sowohl auf den Referenzzinssatz, das Anpassungsintervall, die Anpassungsschwelle. Keine der Vertragsparteien hat dabei einseitig das Recht, diese Parameter vorzugeben, sondern es bedarf der richterlichen Entscheidung.

Mangels konkreter Vorgaben bestand – und besteht bis jetzt – also eine große Unsicherheit, wie denn überhaupt eine wirksame Klausel zu vereinbaren wäre bzw. die Verträge nachzuberechnen wären.

Im Jahr 2010 hat sich der BGH zwar  in 2 Entscheidungen zu langfristigen Verträgen zu der Frage geäußert, wie eine ergänzende Vertragsauslegung aussehen kann.

Die BaFin erhält offensichtlich die darin enthaltenen Grundsätze vollständig auf die Prämiensparverträge übertragbar. Es wird jedoch übersehen, dass die zugrunde liegenden Vertragsbedingungen weder vergleichbar, noch die Vorgaben eindeutig sind. Es handelte sich bei den Sparverträgen um Verträge, denen eine Einmalzahlung zugrunde lag, sie lange Kündigungsfristen hatten, oder die Prämie nur gezahlt wurde, wenn eine lange Vertragslaufzeit eingehalten wurde. Dies ist aber bei den jetzt zur Entscheidung anstehenden Prämiensparen flexibel eine andere vertragliche Grundlage gegeben. Es erfolgt eine monatliche Einzahlung kleiner Beträge. Die Prämien steigen jährlich bis zum 15. Sparjahr an und der Vertrag ist mit einer Frist von 3 Monaten durch den Sparer kündbar, ohne dass er seine bisher erworbene Prämie verliert.

Für die ergänzende Vertragsauslegung sind aber gerade diese unterschiedlichen Vertragsbedingungen für die Festlegung insbesondere eines Referenzzinssatzes nach den Maßgaben des BGH entscheidend.

[pullquote align=“right“]Eine klare Vorgabe gibt es demnach bis jetzt nicht für die jetzt zu entscheidende Sparform des Prämiensparen flexibel.[/pullquote]

Insofern kann denklogisch auch kein Missstand vorliegen.

Vertragsanpassung

Dann stellt sich also die Frage, ob es bereits ein Missstand ist, wenn keine neuen Vereinbarungen mit den Bestandskunden geschlossen wurden. Haben die Sparkassen aber die Bestandsverträge analog den vereinbarten Zinsanpassungsklauseln mit Neuverträgen angepasst, ist weder eine Ungleichbehandlung noch ein Missstand ersichtlich.

Einzig vorwerfbar wäre, dass die Sparkassen die Kunden nicht auf mögliche Ansprüche auf Zinsanpassung für die Vergangenheit hingewiesen haben. Dies ist aber ebenfalls nicht vorwerfbar. Nach geltendem deutschen Recht muss jemand, der sich eines Anspruches gegen einen Dritten rühmt, diesen auch geltend machen. Eine Pflicht, den Anspruchsgegner auf etwaige fehlerhafte Vertragsklauseln hinzuweisen, gibt es außerhalb des UWG nicht.

Da nach der Marktbeobachtung verwenden die betroffenen Kreditinstitute weder auf die als unwirksam beurteilten Zinsanpassungsklauseln weiter, noch berufen sie sich auf deren Wirksamkeit, ergibt sich auch daraus kein Missstand.

Die Frage der fehlerhaften Zinsanpassung ist seit der Ursprungsentscheidung von 2004 immer wieder medial aufbereitet und der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Gleichwohl wurden etwaige Ansprüche seitens der Kunden nur vereinzelt geltend gemacht und dann auch im Regelfall von den Sparkassen reguliert oder vergleichsweise geregelt.

Keine absehbare BGH-Entscheidung

Aber auch die Voraussetzung nach der Gesetzesbegründung, der in nicht absehbarer Zeit zu erwartenden BGH-Rechtsprechung, ist nicht erfüllt. Derzeit sind bereits 3 Musterfeststellungsklagen beim BGH anhängig. Weitere 5 Musterfeststellungsklagen sind erstinstanzlich anhängig, die sicherlich auch von der dort unterliegenden Partei zum BGH gebracht werden wird. Insofern ist eine BGH-Rechtsprechung sehr wohl zeitnah zu erwarten.

Dies gilt auch für den 2. Aspekt der Verjährung.

Verjährung

Hier ist im Übrigen noch die Widersprüchlichkeit der BaFin in ihrer Rechtsauffassung zur Verjährung anzumerken. Im Kern geht es darum, ob die Ansprüche auf Zinsanpassung erst mit Fälligkeit des Prämiensparvertrages als unregelmäßigen Verwahrvertrag mit der Kündigung beginnen, oder bereits – wie die Gegenansicht vertritt – mit (fehlerhafter) Zinszahlung.

Wenn der Anspruch erst mit der Fälligkeit des gesamten Sparkapitals beginnen soll, wäre vorher bei laufendem Vertrag kein Anspruch auf Zinsanpassung gegeben. Dieser würde erst mit Kündigung entstehen. Wenn also bisher keine Verjährung eingetreten sein soll, dann kann den Sparkassen auch nicht vorgeworfen werden, sie hätten die Zinsansprüche bisher nicht nachberechnet und ausgeglichen. Aber auch diese Rechtsfrage ist umstritten und derzeit in den o.g. Musterfeststellungsklagen beim BGH anhängig.

Daher kann sich bereits kein Missstand ergeben

Die Forderung der BaFin, die Kreditinstitute sollten gegenüber den Kunden auf die Einrede der Verjährung bereits jetzt verzichten, entbehrt daher jeder rechtlichen Grundlage.

Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 4 FinDAG durch Musterfeststellungsklage

Weiter muss auch noch eine bisher in der Literatur nicht beachteter Aspekt beleuchtet werden. Die Missstandsaufsicht wurde in 2015 mit dem Kleinanlegerschutzgesetz eingeführt. Es sollten die Fälle erfasst werden, in denen die Verbraucher ihre Rechte in Einzelverfahren nicht geltend machen, oder diese mangels entsprechender Größenordnungen nicht zum BGH gelangen. Hier wurden beispielsweise Kontoführungsgebühren genannt.

Die gleiche Zielrichtung verfolgt aber die zeitlich nach dem FinDAG in 2018 eingeführte Musterfeststellungsklage ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-DS 19/2439, S. 1).

Verbraucher sind jetzt also, ohne dass der Unterstützung der BaFin bedarf, durch ein wirksames Rechtsmittel vor Missständen geschützt. Die bereits rege Inanspruchnahme dieses Rechtsmittels gerade in Bezug auf die Prämiensparverträge zeigt die Wirksamkeit der Durchsetzung von Verbraucherinteressen auf. Aber auch in diesem Zusammenhang ist der Gesetzgeber dem deutschen Rechtsprinzip treu geblieben, dass der Verbraucher seine Rechte selbst geltend machen muss. Die Schwelle für die Geltendmachung seiner Rechte ist durch die kostenfreie und einfache Möglichkeit der Registrierung im Klageregister auch denkbar gering.

Verhältnismäßigkeit von verwaltungsrechtlichen Maßnahmen

Dementsprechend wird der Anwendungsbereich des § 4 FinDAG gerade im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung jedes verwaltungsrechtlichen Handelns eingeschränkt.

Selbst wenn man also die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 FinDAG als erfüllt ansehen würde (!), so sind die vorgenannten Aspekte insgesamt auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit des staatlichen Handelns wegen des massiven Eingriffs in die Grundrechte der betroffenen Sparkassen zu berücksichtigen.

Da mit einer BGH-Entscheidung in 2021 zu rechnen ist und ebenfalls davon auszugehen ist, dass die Sparkassen diese Entscheidung entsprechend umsetzen werden, sind vorherige Maßnahmen nicht verhältnismäßig. Insbesondere müssen die Kunden, auch welche, deren Verträge nicht mehr bestehen, weder auf die fehlerhafte Zinsanpassungsklausel aufmerksam gemacht werden, noch bedarf es eines Verzichtes auf die Einrede der Verjährung.

Insbesondere letzteres könnte irreparablen Schaden hervorrufen, wenn nämlich der BGH die überwiegende Verjährung der Ansprüche annimmt, die Sparkassen aber aufgrund von BaFin-Vorgaben den Kunden gegenüber vor der BGH-Entscheidung auf die Einrede der Verjährung verzichten mussten.

Rechtsmittel

Sollten die Kreditinstitute allerdings dennoch entsprechenden Maßnahmen der BaFin ausgesetzt werden, muss beachtet werden, dass verwaltungsrechtlicher Rechtsschutz zu erheben ist. Dieser entfaltet grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Dies bedeutet, dass der Maßnahme der BaFin zunächst Folge zu leisten ist. Hier wäre dann ein separates verwaltungsgerichtliches Eilverfahren zum Erwirken der aufschiebenden Wirkung durchzuführen.

Es bleibt aber zunächst abzuwarten, ob die BaFin nach einer rechtlichen Prüfung überhaupt entsprechende Maßnahmen erlassen wird oder ob sie tatsächlich wartet, bis die BGH-Rechtsprechung erfolgt.

Es gibt daher keinen Grund, im vorauseilenden Gehorsam die Forderungen der BaFin zu erfüllen.

Sind Sie von Maßnahmen der BaFin betroffen? Melden Sie sich unter kh@bankjuristin.de

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