Der EuGH hat am 26.3.2020 (Az C-66/19) die Gesetzesverweisungskette (sog. Kaskadenverweis) in der deutschen Widerrufsinformation für Verbraucherdarlehen entschieden. Diese erfüllt danach nicht das Erfordernis der klaren und verständlichen Information und steht mit der Verbraucherkreditrichtlinie nicht im Einklang.
Gleichwohl wird das dem einzelnen Verbraucher nicht zu einem nachträglichen Widerrufsrecht verhelfen.
Was ist Inhalt der Entscheidung?
Das Urteil geht auf einen Vorlagebeschluss des LG Saarbrücken vom 17.01.2019 (Az: 1 O 164/18) zurück. In seinem Urteil führt der EuGH in seinem Urteil vom 26.03.2020 aus, dass die Verweisung über verschiedene nationale Vorschriften nicht dem nach der Verbraucherkreditrichtlinie Erfordernis einer klaren und prägnanten Widerrufsinformation gemäß Art. 10 Abs. 2 lit. p der Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG) entspricht.
Wie sind die Regelungen im Detail?
Der EuGH hat zwar erkannt, dass der zu entscheidende Fall als Immobiliardarlehensvertrag grundsätzlich nicht von der Verbraucherkreditrichtlinie umfasst zwar. Der deutsche Gesetzgeber hat aber die Regelungen, die nach der Richtlinie für allgemeine Verbraucherkredite notwendig waren, auf Immobiliardarlehen erstreckt. Dies war nach Vorbemerkung Nr. 10 der Richtlinie möglich. Der EuGH ist dann zuständig, um eine einheitliche Auslegung dieser Bestimmungen zu gewährleisten. (Rz. 23 – 32)
Die erste Vorlagefrage betraf die Frage, ob die Modalitäten für die Ermittlung des Widerrufsfrist (insbesondere Fristbeginn) zu den Erfordernissen der Richtlinie für eine klare und prägnante Widerrufsinformation gehören.
Dies hat der EuGH bejaht. Die Richtlinie sieht in Art. 10 vor, dass zu den erforderlichen Informationen gehört:
- Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts
- Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts
- Die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts
Diese Informationen sind nach Auffassung des EuGH von grundlegender Bedeutung für den Verbraucher (s. insbesondere Rz. 37/38)
Die zweite Vorlagefrage ist Kernfrage der Vorabentscheidungsersuchens. Darin wird zur Entscheidung gestellt, ob der in der Widerrufsinformation enthaltene Verweis auf ein Gesetz, was wiederum auf weitere Gesetze verweist (sog. Kaskadenverweis), mit der Richtlinie vereinbar ist.
In Art. 10 der Richtlinie ist aufgeführt, welche Informationen (Pflichtangaben) der Verbraucher im Vertrag erhalten muss, damit die Widerrufsfrist beginnt. Eine Verweis auf Vorschriften des deutschen Rechts versetzt den Verbraucher jedoch nicht in die Lage, diese Informationen zu ermitteln. Damit kann er auch den Beginn der Widerrufsfrist nicht ermitteln.
Aus diesen Gründen ist das nach der Richtlinie festgelegte Erfordernis der klaren und prägnanten Widerrufsinformation nicht erfüllt. (Rz. 48)
Besteht damit noch ein Widerrufsrecht für laufende Darlehensverträge?
Die Frage stellen sich vermutlich jetzt alle. Die Antwort vorweg: Nein
Das deutsche Recht gewährt in Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB einen gesetzlichen Schutz für die Fälle, in denen der Unternehmer die Musterwiderrufsinformation gem. Anlage 6 (bis 12.06.2014) bzw. Anlage 7 (ab 13.06.2014) verwendet. Diese Norm ist inder Entscheidung nicht erwähnt.
Aber kann es einen Schutz für eine nicht europarechtswidrige Widerrufsinformation geben?
Zur Beurteilung dieser Frage muss man sich erstmal ansehen, was eine solche EuGH-Entscheidung überhaupt bedeutet. Der EuGH entscheidet darüber, ob das nationale Gesetz den Anforderungen der Richtlinie genügt. Mehr nicht. Der EuGH hat im Wesentlichen zwei unterschiedliche Rechtssetzungsinstrumente, die Richtlinie und die Verordnung. Während die Verordnung wie ein deutsches Gesetz zu beurteilen ist und unmittelbar in den Mitgliedsstaaten anwendbar ist, gibt die Richtlinie nur einen Rahmen vor. Sie muss noch durch ein entsprechendes Gesetz in nationales Recht umgesetzt werden. In der Richtlinie ist auch vorgegeben, was von den Mitgliedsstaaten zwingend umgesetzt werden darf und was noch ergänzend geregelt werden darf/muss.
Hier handelte es sich um die sog. Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG) vom 23.4.2008. Diese ist durch zwei Gesetze in Deutschland umgesetzt worden. Einmal durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie und des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie gem. Gesetzesentwurf des Bundestages (BT-DS 16/11643), veröffentlicht im Bundesgesetzblatt (BGBl. 2009 I, 2355), in Kraft seit 11.06.2010 und speziell für die Widerrufsinformation durch Gesetz zur Einführung einer Musterwiderrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge, zur Änderung der Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen und zur Änderung des Darlehensvermittlungsrechts (BT-DS 17/1394), veröffentlicht mit Wirkung zum 30.07.2010 im Bundesgesetzblatt (BGBl. 2010 I, 977).
Die Entscheidung des EuGH ändert diese deutschen Gesetze nicht. Denn weder der EuGH noch der deutsche BGH haben als Teil der Judikative das Recht, ein deutsches Gesetz aufzuheben oder gegen diese Gesetze zu entscheiden. Dies kann nur die Legislative, mithin der deutsche Gesetzgeber. Eine Ausnahme gibt es für das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines eigenständigen Normenkontrollverfahrens.
Damit dem europäischen Recht genügt wird, gibt es das Instrument der richtlinienkonformen Auslegung der deutschen Gesetze.
Was bedeutet also eine richtlinienkonforme Auslegung?
Eine Auslegung im Recht findet immer dann statt, wenn eine Norm nicht klar ist. Dies kann sein, wenn der Wortlaut unterschiedlich interpretiert werden kann, weil er zu unbestimmt oder zu abstrakt ist. Dann muss anhand klassischer Auslegungsmethoden ermittelt werden, was der Gesetzgeber gewollt hat.
Kommt hier eine Auslegung in Betracht?
Die Verwender der Widerrufsinformation bei Verbraucherdarlehensverträgen beziehen sich auf den Text des Musters gem. Anlage 7 zu Art. 247 EGBGB. Wird dieses Muster verwendet, gilt die Widerrufsinformation gem. Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB als gesetzeskonform.
Grundsätzlich ist der deutsche Gesetzgeber frei, wie er die Widerrufsinformation regelt, solange sie den Grundanforderungen der Verbraucherkreditrichtlinie entspricht. Die Richtlinie sieht aber weder vor, dass eine Widerrufsinformation anhand eines Musters erfolgen soll, noch gibt sie ein Muster vor.
Da der Wortlaut der Widerrufsinformation in Deutschland selbst das Gesetz ist, bleibt damit also keine unbestimmter Begriff oder eine Interpretationslücke offen. Genau so hatte es der deutsche Gesetzgeber nach der Gesetzesbegründung auch gewollt.
Dies ist die Besonderheit dieses Falls. Damit unterscheidet er sich von den sonstigen Entscheidungen, in denen eine Begriffsauslegung oder die Ausübung eines Ermessens Gegenstand der EuGH-Entscheidung war. Der deutsche Gesetzgeber hat hier also eine Lücke gefüllt, die es gar nicht gab. Er hat damit die Richtlinie überschießende Regelungen getroffen, die laut der Richtlinie aber zulässig waren.
Was bedeutet das für zukünftige Entscheidungen von deutschen Gerichten?
Es ist davon auszugehen, dass der BGH im Ergebnis weiter nach seiner bisherigen Linie entscheiden wird und den Kaskadenverweis als zulässig ansehen wird.
Auch viele andere OLGs in Deutschland hatten vorher so wie der BGH entschieden.
In einer ähnlichen Situation zu Widerrufen bei Darlehensverträgen im Fernabsatzwege hat der BGH auch nach einer negativen EuGH-Entscheidung an seiner Rechtsprechung mit genau den vorgenannten Gründen festgehalten. (BGH 15.10.2019, Az: XI ZR 759/17, nach EuGH-Entscheidung vom 11.09.2019 – Romano Az: C-143-18)
Im Übrigen verlangt auch der EuGH von den nationalen Gerichten nicht, dass sie gegen das nationale Gesetze (contra legem) entscheiden.
Fazit
Verfolgen Sie in meinem Blog, wie sich die nachfolgende deutsche Rechtsprechung dazu entwickelt.
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